momme brodersen


In Italien hat Walter Benjamin das Sehen in einem fast wörtlichen Sinn er-fahren. Als er 1924 seine zweite Reise in dieses Land antrat, tat er es in der Absicht, sich von allem Belastenden seines Denkens zu befreien und in seinem ganzen Schaffen neu zu orientieren, wozu ihm nicht zuletzt auch Diskussionen mit der „lettischen Bolschewistin“ Asja Lacis Anlass gaben. Künftig wollte er „die aktualen und politischen Momente“ seines Denkens „nicht wie bisher altfränkisch […] maskieren, sondern […] entwickeln, und das, versuchsweise extrem.“  Seinen frühesten Niederschlag fand diese Neuakzentuierung in seinem Stadtbild Neapel, das vor allem eines ist: der Versuch, Wege (Methoden) aufzuzeigen, wie man vom Sehen zum Verstehen des Gesehenen, von der Perzeption zur Apperzeption, gelangt. In diesem Bestreben weisen die „italienischen“ Schriften Benjamins mit denen Siegfried Kracauers aus der gleichen Zeit Übereinstimmungen in entscheidenden Aspekten auf, die sich bis in einzelne Formulierungen hinein erstrecken.